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Temu: Alles nur China Schrott?

Autorenbild: Dr. Sebastian ReinfeldtDr. Sebastian Reinfeldt

Testkäufe und Prüfungen bescheinigen vielen Temu-Produkten mangelhafte Qualität.

Wer bestellen will, sollte gewisse Vorsichtsmaßnahmen beachten, so heißt es in österreichischen und deutschen Medien.

VSV-Geschäftsführer Sebastian Reinfeldt macht für uns den Selbstversuch und berichtet.

Ein Betrüger mit Kappe telefoniert und hat neben sich einen Stapel Geld liegen.
Wer profitiert vom und wer leidet unter dem Temu-Geschäftsmodell?

Verbraucherschützer:innen in Österreich und Deutschland warnen. Trotzdem nutzen vor allem junge Leute die billig-Apps. Der Slogan "Shop Like a Billionaire" zieht ganz offensichtlich.

Ich hab sie deshalb näher angeschaut und probeweise dort bestellt. Die Überraschung: Denselben „China-Schrott“ gibt es auch auf Amazon und sogar im Fachhandel.

Bestellung und Versand von Temu erfolgten bei meinen Testkäufen transparent und nachvollziehbar. Wenngleich es ökologisch gesehen natürlich ein Wahnsinn ist, dass die Waren per Flugzeug nach Österreich eingeflogen werden.


Gamification mit „Achtzig Prozent Rabatt – oder mehr!“

Seit ich mich im Dezember 2023 bei Temu registriert habe, überschüttet mich die App täglich mit neuen Angeboten und Rabatt-aktionen. Sie avisiert sogar Artikel, die Temu mir angeblich schenken will. Meistens funktioniert das dann so: Temu lädt mich zu kleinen Online-Spielchen ein, bei denen man Rabatte und Gratisaktionen wie in einem Online-Casino „gewinnen“ kann, jedoch ohne dafür Geld einzusetzen. Fiktive Glücksspiele also, die Kaufanreize erzeugen sollen. In der Fachsprache wird diese Methode „Gamification“ genannt. Das scheinbar Spielerische soll zur Kaufentscheidung verführen. Wer darauf eingeht, bestellt in der Regel am Ende mehr als er möchte. So simpel funktioniert das Temu-Geschäftsmodell.

Zu Testzwecken bin ich natürlich darauf eingestiegen und habe seit Dezember 2023 fünf Mal für insgesamt 102 Euro 52 bestellt, wobei Temu mir einmal für eine verspätete Lieferung eine Gutschrift von fünf Euro gegeben hat. Gratis und geschenkt war davon im Endeffekt jedoch nichts, auch wenn die App solches versprochen hat.


Die Dinge, die tagelang aus China nach Wien per Flugzeug unterwegs sind und in Österreich am Grazer Flughafen mehrere Tage beim Zoll liegen, sind praktische kleine Helferlein im Alltag und für meine Bastelecke.

Darunter befindet sich ein handlicher Lötkolben, fünf LED-Lämpchen mit Bewegungssensor, die meinen Kleiderschrank ausleuchten, Bastelmesser und Bastelunterlage sowie ein Airbrush-Set.


Entgegen meiner Erwartung war jedoch kein Schrott dabei. Alle Sachen sind im Einsatz.

Mit sehr preisgünstigen Lockangeboten und einer superbilligen Erstbestellung wird man wirksam eingefangen. In meinem Fall waren die ersten Bestellungen eine kleine Schnellspannzwinge und eine digitale Schieblehre für acht Euro 27; Lieferung gratis. Beides in China produziert.

Die Schnellspannzwinge gibt es auch auf Amazon zu kaufen, aktuell im Set von vier Stück um knapp acht Euro.

Exakt dieselbe digitale Schieblehre wie auf Temu hält Amazon ebenfalls im Angebot, und zwar für sieben Euro 98.


Insgesamt war meine Erstbestellung etwas billiger als auf Amazon, dafür habe ich aber bedeutend länger gewartet. Dieses Warten auf die Lieferung des typischen Temu-Sackerls gehört ebenfalls zum speziellen China-Shop-Erlebnis. Wann die Lieferung kommt, und wo sie sich gerade befindet, lässt sich tagesaktuell in der App nachverfolgen. Ein weiterer Teil der erfolgreichen "Gamification"-Strategie.

 

Doch wer steckt eigentlich „hinter“ Temu?

Meine Recherche zeigt folgendes Ergebnis: Temu ist ein Onlineshop,  der dem chinesischen Unternehmen Pinduoduo Holdings (PDD) gehört. PDD wurde 2015 gegründet und beschäftigt mittlerweile fast 13.000 Mitarbeiter:innen.

Temu ist der westliche Ableger von Pinduoduo - mit Niederlassungen in den USA und in Irland. Eigene Produkte werden keine verkauft, geliefert wird in der Regel direkt von chinesischen Hersteller:innen, was zu den günstigen Preisen führt. Temu ist also nur eine Plattform, die Waren zwischen Handelnden und Kaufenden vermittelt.

 

Woher kommen die Waren und wer verpackt sie?

Viele der Händler:innen befinden sich in der chinesischen Stadt Yiwu, berichtet die deutsche Tagesschau in einer eigenen Recherche. Schal- und Mützenhändler Wu, kommt darin zu Wort:

"Wir Händler beliefern Temu mit Waren. Das Unternehmen hat Lager in Guangzhou im Süden Chinas. Wir schicken unsere Waren dorthin, und dann übernimmt Temu alles weitere und sendet sie in verschiedene Länder."

Das Verpacken der Waren erfolgt allerdings anders als im Falle von Amazon, wo Menschen in Versandzentren arbeiten und die Pakete packen und versenden.

Temus Verpacker:innen machen das in Heimarbeit. In den Wohnungenkönnen sich die Waren schon mal bis unter die Decke stapeln. Beweisfotos der Packerl sollen vor Reklamationen schützen. Auf einem Foto, das ich gesehen habe, lässt sich sogar der Bezug des Sofas im Wohnzimmer des Verpackers erkennen. Er beweist damit, dass er die Waren tatsächlich und ordnungsgemäß verpackt und abgeschickt hat. Einer der Verpacker berichtet:


"Wenn es schlecht läuft und der Kunde Qualitätsmängel entdeckt, dann werden wir bestraft. Die Strafe ist fünf Mal höher als der Preis. Wenn also ein Produkt umgerechnet sechs Euro gekostet hat, dann muss ich 30 Euro zahlen.“

 

Sind wir eigentlich normale Käufer:innen, wenn wir bei Temu bestellen, oder doch Importeur:innen und damit haftbar für Schäden?

Ein Beispiel aus dem Alltag: Meine Freundin leiht sich einen Akku-Staubsauger, den ich bei Temu gekauft habe. Die Frage lautet: Kann ich dann haftbar gemacht werden, wenn dieser Staubsaugerakku brennt und ein Feuer verursacht?

Für Österreich gilt: Nein. Nach Auskunft von Miriam Faber, Juristin beim Verbraucherschutzverein, bin ich nicht haftbar. Denn die sogenannte Importeurhaftung greift in Österreich nur, wenn der Importeur ein Unternehmen ist.

Am Ende müssen die Verbraucher:innen natürlich selbst entscheiden, ob sie es gut finden, wenn die Waren via Flugzeug von China nach Europa transportiert werden.

Waren jedenfalls, die man ebenso in Europa herstellen und verkaufen könnte.

 

Peter Kolba in seinem Büro

*Sebastian Reinfeldt ist Politikwissenschafter, Journalist, Blogger und Geschäftsführer des Verbraucherschutzvereins VSV


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